Demut und Dankbarkeit

BREAKCHANCE Impression
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Demut und Dankbarkeit

»BREAKCHANCE« — die­ser Begriff bedeu­tet für Ten­nis­en­thu­si­ast Chris­toph Kel­ler­mann, Gedan­ken­bar­rie­ren zu durch­bre­chen und Chan­cen zu ermög­li­chen. Chan­cen für Men­schen, mit denen es das Schick­sal nicht wirk­lich gut gemeint hat. Seit 2005 wid­met sich der lang­jäh­ri­ge Bun­des­trai­ner bereits der Inte­gra­ti­on von Men­schen mit Han­di­cap. Demut und Dank­bar­keit sind dabei die Moto­ren für das enor­me sozia­le-inte­gra­ti­ve Enga­ge­ment. Die freie Jour­na­lis­tin Ste­fa­nie Satt­ler sprach mit Chris­toph Kel­ler­mann über des­sen Engagement.

Chris­toph, wie bist Du eigent­lich zum Roll­stuhl­ten­nis gekom­men? Chris­toph Kel­ler­mann: Über den Sport­jour­na­lis­mus. Just als ich 2005 mei­ne akti­ve Lauf­bahn als Ten­nis­trai­ner aus gesund­heit­li­chen Grün­den been­de­te, kam es über mein zwei­tes Stand­bein zu einer Art Come­back. Schon immer führ­te ich par­al­lel zu mei­ner Ten­nis­schu­le eine Medi­en­agen­tur. Als ich dann eines Tages als Sport­jour­na­list medi­al mit dem The­ma Roll­stuhl­ten­nis kon­fron­tiert wur­de, habe ich Feu­er gefan­gen und schnell gemerkt: Roll­stuhl­ten­nis ist Faszination!

Und dann bist Du Bun­des­trai­ner gewor­den. Chris­toph Kel­ler­mann: Ja. Dazu kam ich prak­tisch wie die Jung­frau zum Kind. Ich war zwar erst eini­ge Mona­te als Trai­ner im Roll­stuhl­ten­nis aktiv und doch frag­te mich die Ver­bands­prä­si­den­tin, ob ich mir das Amt zutrau­en wür­de. Die Posi­ti­on des Bun­des­trai­ners war zu der Zeit vakant und ich habe »Ja« gesagt. Es war eine schö­ne Zeit mit tol­len Erfah­run­gen. Trotz­dem habe ich die­ses Amt nach eini­gen Jah­ren nie­der­ge­legt, da es sich zeit­lich für mich nicht mehr arran­gie­ren ließ. Zu der Zeit unter­hielt ich mit mei­ner Fami­lie eigens für den Betrieb des Roll­stuhl­ten­nis­sports eine eige­ne Ten­nis­an­la­ge. Die­ses Pro­jekt nahm mei­ne Fami­lie und mich voll in Anspruch. Für ein zwei­tes Ehren­amt — wie es das Amt des Roll­stuhl­ten­nis-Bun­des­trai­ners nun ein­mal war — gab es also schlicht­weg kei­nen Raum mehr.

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Was ist Dei­ne Moti­va­ti­on, Roll­stuhl­ten­nis­trai­ning zu geben? Chris­toph Kel­ler­mann: Ganz ein­fach die Chan­ce zu nut­zen, Men­schen, denen das Schick­sal übel mit­ge­spielt hat, Moti­va­ti­on, Lebens­freu­de und Hoff­nung zu geben. Wenn ich das dadurch leis­ten kann, indem ich mich auf die ande­re Sei­te des Net­zes stel­le, um das zu tun, was ich am liebs­ten tue, näm­lich Ten­nis spie­len, dann will ich das ger­ne machen. Roll­stuhl­fah­rer aus dem loka­len Umfeld, aber auch von weit her über den Ten­nis­sport in die Gesell­schaft zu inte­grie­ren, das ist eine wun­der­ba­re Sache. Dar­auf bin ich zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch sehr stolz.

Nun blickst Du bereits auf vie­le Jah­re »BREAKCHANCE« zurück. Chris­toph Kel­ler­mann: Eine lan­ge Zeit, eine Art Qua­li­täts­sie­gel. Unser Lohn: Dank­bar­keit und Demut. Man ver­än­dert sich auch selbst ein Stück. Man ana­ly­siert Situa­tio­nen gelas­se­ner, regt sich nicht mehr so schnell über belang­lo­se Din­ge auf und genießt den Tag.

Ein inter­es­san­ter Schritt. Vom »nor­ma­len« Ten­nis zum Rol­li­ten­nis. Chris­toph Kel­ler­mann: Hey! Roll­stuhl­ten­nis ist auch »nor­mal«! Der ein­zi­ge Unter­schied ist, dass die Rol­li­fah­rer mit dem Roll­stuhl ein drit­tes Sport­ge­rät zu bewäl­ti­gen haben. Das ist, was wir schon seit Jah­ren ver­mit­teln. Roll­stuhl­ten­nis müss­te streng genom­men in das Stan­dard­an­ge­bot eines jeden Ten­nis­ver­eins gehö­ren. Roll­stuhl­ten­nis ist Ten­nis! War­um soll­te ein Mensch, nur weil er im Roll­stuhl sitzt, nicht auch Ten­nis­spie­len dür­fen? Jeder Trai­ner soll­te bei den zahl­rei­chen Trai­ner­fort­bil­dun­gen in den Lan­des­ver­bän­den oder beim Deut­schen Ten­nis Bund mit Roll­stuhl­ten­nis kon­fron­tiert wer­den, sich selbst in den Stuhl set­zen und Erfah­run­gen sammeln.

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Was war per­sön­lich die Trai­nings­um­stel­lung für Dich? Chris­toph Kel­ler­mann: Am Anfang war es schwie­rig, ein­zu­schät­zen, wozu der Dir gegen­über ste­hen­de Roll­stuhl­fah­rer über­haupt in der Lage ist ist, was man ihm oder ihr zutrau­en kann. Schließ­lich ist es eine Fra­ge des Behin­de­rungs­gra­des, wie belast­bar ein Rol­li­fah­rer ist. Ich erin­ne­re mich an einen Her­ren, der durch einen Schlag­an­fall in den Roll­stuhl gekom­men ist, die­sen aber nicht eigen­stän­dig bewe­gen konn­te. Also saß er wie er saß und ich muss­te es schaf­fen, ihm den Ball exakt auf den Punkt zu spie­len. Sein rech­ter Schlag­arm konn­te schwin­gen, das war es an Bewe­gungs­mo­bi­li­tät. Da er aller­dings vor sei­nem Schlag­an­fall bereits 40 Jah­re Ten­nis spiel­te, war das Schla­gen für ihn weni­ger ein Pro­blem. So war er den­noch in der Lage, mit mir Ball­wech­sel zu spie­len. Wahn­sinn! Wer hin­ge­gen »ledig­lich« ein oder zwei ampu­tier­te Bei­ne hat, der ist voll belast­bar und auf dem Platz irr­sin­nig schnell. Ande­re wie­der­um haben Stan­gen im Rücken, kön­nen daher im Ober­kör­per nicht rotie­ren oder Bogen­span­nung auf­bau­en. Man muss über die Ein­schrän­kung jedes Ein­zel­nen schon sehr genau Bescheid wis­sen, dann weiß man, wie weit man als Trai­ner im Unter­richt gehen und was man dem Rol­li­fah­rer abver­lan­gen kann. Grund­sätz­lich kann man mit gering­fü­gi­gen Modi­fi­ka­tio­nen fast jede Übung aus dem Fuß­gän­ger­trai­ning auf das Rol­li-Ten­nis­trai­ning adap­tie­ren. Was sich änder­te, ist aller­dings das Zuspiel­tem­po. Hier hilft es, selbst in den Stuhl zu stei­gen und Erfah­run­gen zu sam­meln. Dann weiß man schnell, was zumut­bar und mög­lich ist und was nicht.

Was hältst Du von fol­gen­der Aus­sa­ge: »Fuß­gän­ger-Ten­nis ist leis­tungs­be­zo­ge­ner und die Spie­ler sind fokus­sier­ter bzw. ehr­gei­zi­ger als Roll­stuhl­ten­nis­spie­ler«? Chris­toph Kel­ler­mann: Gar nichts! Wer das sagt, der hat Roll­stuhl­ten­nis noch nie erlebt. Wenn Du weißt, wer das gesagt hat, schick ihn bit­te zu mir. Dann schüt­tel ich ihm schon mal das Kis­sen im Stuhl auf und besor­ge ihm ein Meet & Greet mit einem mei­ner Rol­li­fah­rer. Danach wird er sei­ne Aus­sa­ge revi­die­ren. Dafür garan­tie­re ich.

Wie erlebst Du die Lei­den­schaft der Rol­li­fah­rer? Chris­toph Kel­ler­mann: Wie bereits erwähnt, ist es ein sen­sa­tio­nel­les Gefühl, Gutes zu tun. Wir sor­gen für Inte­gra­ti­on und stei­gern das Selbst­wert­ge­fühl der Rol­li­fah­rer. Egal ob Jung oder Alt, alle Rol­li­fah­rer geben stets ihr Bes­tes, inha­lie­ren jede ein­zel­ne Minu­te des Trai­nings und tun das, was Fuß­gän­ger auch tun: Ten­nis­bäl­le über das Netz jagen. Sie ste­hen nicht außen vor. Die Dank­bar­keit, die Du von den Rol­lis erfährst, bekommst Du im all­täg­li­chen Ver­eins­trai­ning weder von Kin­dern noch von Erwach­se­nen. Unse­re Gesell­schaft ist ver­wöhnt und glaubt, Glück und Gesund­heit gepach­tet zu haben. Wenn sich jemand ehren­amt­lich oder über die Maße hin­aus für etwas ein­setzt, dann wird dies meist als Selbst­ver­ständ­lich­keit gese­hen. Die Wert­schät­zung ist daher im all­ge­mei­nen rela­tiv gering. Das Schick­sal kann aber jeder­zeit zuschla­gen und klopft nur sehr sel­ten vor­her an. Jeden von uns kann es heu­te am Tag tref­fen. Jeder von uns kann sich von jetzt auf gleich im Roll­stuhl wiederfinden.

Wie gehen die Spie­ler selbst mit ihrem Han­di­cap um? Chris­toph Kel­ler­mann: Erfri­schend offen. Mit­leid ist nicht erwünscht, im Gegen­teil: Eher neh­men sie sich selbst aufs Korn. Da fällt dann auch schon mal der eine oder ande­re Behin­der­ten­witz. Die Situa­ti­on ist für die meis­ten ja nicht zu ändern. Sie sind auf den Stuhl ange­wie­sen, auf dem Platz und im All­tag. Bas­ta. Das wird akzep­tiert und dann wird das Bes­te dar­aus gemacht.

Wenn ein Fuß­gän­ger auf einem Rol­li­fah­rer trifft, gibt es ja oft Berüh­rungs­ängs­te. Wie soll man sich ver­hal­ten? Braucht der Rol­li­fah­rer Trost oder gar ein wenig Mit­leid? Chris­toph Kel­ler­mann: Nein, braucht er nicht. Will er auch nicht. Unser Freund Ross Ant­o­ny hat es 2009 bei eines unse­rer Events mal auf den Punkt gebracht. Er mein­te, dass man eigent­lich gar nicht »behin­dert« sagen dür­fe, denn die Rol­li­fah­rer kön­nen ja alles, was wir Fuß­gän­ger auch kön­nen und noch viel mehr. Damit war alles gesagt. Über­haupt hat Ross sich toll bei uns ver­kauft. Er wuss­te, wes­halb er gekom­men war. Ross ist wirk­lich ein Klasse-Typ.

 

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